Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 07:32

Guten Morgen NAV Gemeinde,

ich habe ein weniger technisches Anliegen, als mehr ein Zwischenmenschliches.
Wir führen momentan in unserem Hause (deutsches Mittelstandsunternehmen in der Produktion) Microsoft NAV 2009 ein. Dies ist bei uns das erste ERP System, vorher/bisher wurde hauptsächlich die altbekannte Kombination Exccel/Word als Grundlage für alles genommen. Dies soll sich jetzt natürlich ändern.

Im Zuge der Einführung habe ich eine Herausforderung, der ich momentan etwas ratlos gegenüberstehe. Unsere langjährigen Mitarbeiter die sich in Excel auskennen, in einigen Jahren in den Ruhestand gehen und sich auf nichts neues mehr einlassen wollen.
Was habt ihr für Erfahrungen gemacht in Bezug auf die Einführung von ERP und solchen Herausforderungen? Ich möchte natürlich niemanden zwingen müssen damit zu arbeiten bzw. beim Chef "petzen" gehen das jemand nicht mitzieht sondern lieber meine Begeisterung auf die Mitarbeiter übertragen und aufzeigen dass das System durchaus Ihre alltägliche Arbeit verbessern und sogar verkürzen kann.

Grüße
Askaron

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 08:17

Hallo Askaron001,

zunächst einmal herzlich willkommen im Forum.

Zu deiner Frage:

Dein zu lösendes Problem ist sehr genereller Art. Bei jeder Neueinführung einer Software und egal welches Alter der Mitarbeiter, hört man in der ersten Zeit immer die Aussage "Das alte System war aber besser". Dies hat i.d.R. die Ursache in den noch nicht eingefahrenen Abläufen bzw. den noch nicht immer geläufigen Funktionen der Software. Diese Äußerungen werden allerdings mit zunehmender Betriebszeit des neuen System weniger. An dieser Stelle hilft leider nur ein dickes Fell desjenigen, der das ganze einführt, bzw. supporten soll. Sowas kann schon mal ein paar Monate dauern. Trotzdem gilt es sehr genau zuzuhören, was die Mitarbeiter bemängeln. Häufig sind dies Kleinigkeiten, die mit wenig Aufwand realisierbar sind (hier ein fehlender Preis, dort eine Referenz auf eine Information). Diese Anpassungen bewirken zunächst einmal nicht viel, außer dass die Kollegen sich ernst genommen fühlen.

Eine weitere Aufgabe wird es sein, den Mitarbeitern die Vorteile der neuen Lösung gegenüber der alten zu "verkaufen".
Das ihr noch keinerlei Erfahrung mit einem ERP-System habt, ist euer Vorteil, wie auch euer Nachteil: Ihr seid noch nicht durch ein anderes ERP-System "verdorben", gleichzeitig fehlt euch die Erfahrung wie man so ein System nutzt. :wink:
Deshalb benötigt ihr einen sehr guten Berater, der eure bisherigen Abläufe sehr genau analysieren kann, und in der Lage ist, diese auch in NAV abzubilden, bzw. euch beizubringen was ihr in Zukunft anders machen müsst. Außerdem muss er euch sehr genau schulen, damit ihr das System auch sinnvoll nutzen könnt.

Das kann in sofern schwierig werden, wenn einzelnen Mitarbeitern durchaus Mehrarbeit aufgebrummt wird, damit alle weniger Arbeit haben.

Dies sind bisher alles sind keine Themen, die speziell alte Mitarbeiter betreffen. Und die "Alten" würde ich nicht unbedingt alle in einen Topf werfen. Auch hier gibt es genügend Leute die sich durchaus für Neuerungen interessieren, weil jetzt z.B. Probleme gelöst werden, die mit dem alten System nicht zu lösen waren. Wenn man diese Mitarbeiter gewinnen kann, gelingt es u.U. sie als Multiplikator bei den anderen Kollegen einzusetzen.

Ansonsten wünsche ich dir viel Spaß, bei deiner sicherlich nicht einfachen Aufgabe ein System "von 0 auf ERP" einzuführen. Den Leuten erst einmal beizubringen, dass nicht mehr jeder für sich "herumwurschteln" kann, sondern alles in einer bestimmten Form zu passieren hat, damit das "große Ganze" funktioniert, ist sicherlich mit sehr viel Zeit und Schulungsaufwand verbunden.

Gruß, Fiddi

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 08:37

Vielen Dank für die Begrüßung,

Ich möchte gar nicht bestreiten das es durchaus auch Mitarbeiter gibt, die sich gerne noch mit neuen Themen auseinandersetzen, leider arbeiten diese nicht hier. :)
Die Herausforderung dabei ist eher die betroffenden Mitarbeiter bis zum Start des ERP Systemes dazu zu kriegen, auch wirklich damit zu arbeiten. Ich hab mich schon mit dem Gedanken angefreundet, das ich nach dem eigentlichen Start öfter etwas zu hören kriegen werde was doch alles schlecht und komplizierter geworden ist.
Ich hatte gehofft das es vielleicht schon irgendwelche Work-Flows oder Empfehlungen gibt, wie man in der Implementierungsphase mit solchen Mitarbeitern umgehen soll/muss. Die Schulungen sind ein durchaus gutes Werkzeug um das näher zu bringen, aber schon hierbei kommen Meldungen: "Ich habe doch keine Zeit und noch soviel zu tun, das müssen wir ein andermal machen!".
Dann lasse ich mich mal überraschen inwieweit der Zeitplan haltbar ist.

Grüße
Askaron

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 08:44

Evtl. hilft es auch, zumindest die Grundschulung nicht im Betrieb zu machen, sondern in einem Schulungszentrum außerhalb der Firma. Dann ist die Firma für einen Tag außen vor, und die Leute trennen sich ein wenig von den bisherigen Altagstrott. :wink:

Gruß, Fiddi

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 08:49

Wichtig ist es sie nicht ins kalte Wasser zu werfen, im Sinne von "hier ist das System, nun macht mal schön". Vielleicht einfach die Benutzer in den Prozess des Wechsels mit einbeziehen und zeitnah schulen. Dabei ist es wichtig, dass sie später nicht stupide ihren Ablauf durchführen, sondern das System verstehen, wissen wie es arbeitet und sich verhält (Beispiel: die drei schönen Punkte die anzeigen, dass noch eine Request Form aufgeht bevor etwas getan wird).

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 09:03

Ach ja, eine ganz wichtige Sache ist noch der Chef.
Wenn er nicht von seiner Entscheidung überzeugt ist, dass er das richtige getan zu haben, und das auch lebt, gibt es für deine Kollegen immer einen Grund weiter zu meckern :mrgreen:.

Daher ist er der wichtigste Multiplikator, wenn er weiter die alte Arbeitsweise akzeptiert, und nicht auf NAV setzt, oder selbst unzufrieden auftritt, wirst du nie Ruhe in die Firma bekommen.

Das soll aber nicht für Dinge gelten, die nicht Rund laufen. Hierfür solltet ihr aber einiges an Budget und Zeit einplanen, weil ihr selbst noch keine Erfahrung habt. :wink:

Gruß, Fiddi

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 13:41

Hallo,
wir standen/ stehen vor der gleichen Aufgabe. Wir sind ebenfalls ein Mittelständisches Unternehmen im Produktionsbereich. Den optimalen Weg gibt es nicht. Allerdings hatten wir vor der Einführung in Navision bereits ein ERP. Ein selbst Entwickeltes. Diese hatte den Vorteil das es wie ein Massanzug passte. Es wurde an vielen stellen auf die inviduelle Bedürfnisse einzelener Anwender eingegangen. Dies ging soweit, das wenn im Alt Sytem die Menge bei einem Kollege grösser war als X, dann wurde das Feld in das Artikelnumernfeld übertragen. Ist halt in 40 Jahren so gewachsen.

Gerade am Anfang ist es sehr wichtig das Schluesselmitarbeiter vom Systemüberzeugt sind, und es auch "wollen". Dies geht of nur durch viel Überzeugungsarbeit. Ebenso ist es wichtig nicht gleich auf alle wünsche einzugehen. Jedem muss klar sein, auch der Geschäftsleitung das es erstmal schlechter werden wird. Auch die längste Testphase ersetzt keinen Echtstart.
"Lernen durch schmerzen". Wir haben unseren Kollegen erstmal gesagt das wir Anfangen ( fast alles ist im Standard, lösbar, Natürlich manchmal nur sehr aufwendig ), uns anschauen welche Änderungen wircklich Notwendig sind oder es einfach nur Neu ist. Jetzt nach einem 3/4 Jahr fangen wir an die wirklichen Arbeitserleichterungen anzupassen.

Gern, kann ich dir über weitere Erfahrungen berichten, allerdings nicht öffentlich hier im Forum. Gern per P-mail.

gruss
Jörg

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

5. August 2011 13:57

Wenn ich dich richtig interpretiere, bist du ja eher von der jüngeren Generation. Daher kann auch ein wichtiger Punkt sein, wer und wie es den erfahrenen Kollegen beigebracht werden soll. Evtl. hilft es, wenn sich ein Vorgesetzter mal im wahrsten Sinne des Wortes hinter dich stellt. Erfahrungsgemäß reagieren einige Mitarbeiter anders, wenn ein Vorgesetzter mit im Raum ist, der gleichzeitig noch signalisiert, daß er dem Erklärenden völlig vertraut und die Einführung des neuen Systems eine sehr wichtige Sache für die Firma ist.

Re: Technologieakzeptanz langjähriger Mitarbeiter

9. August 2011 13:11

Ich kann den Vorredern nur zustimmen. Es ist wichtig die Nutzer bei Ihren "Problemen" die sie sehen, abzuholen. Ich bin gerade im ERP Wechsel involviert als Projektleiter. Wir wechseln von NAV zu AX. Dies hat aber technische Gründe. Aber in den Jahren zuvor gab es oft genug die gleichen Probleme, wenn Funktionen von NAV produktiv gegangen sind und alte Exceldateien damit abgeschafft worden sind. Es galt dann immer die Devise bei mir, dass ich die betroffenen Nutzer fragte, was denkt ihr welche Probleme ihr haben werdet. Ich habe damit die User immer wieder in die Situation versetzt, sich mit dem neuen System und dem bisherigen System auseinader zusetzen und ihr Baugefühl mit Substanz zu füllen. Somit habe ich ganz schnell auch die Kollegen herausgefunden, die in der Grundhaltung ich bin dagegen sich nicht ändern wollen. Diese Kollegen hatten dann aber auch ein kleines Gespräch mit ihrem Vorgesetzten. Dies ist aber bisher nur 2 mal vorgekommen und dies waren meistens die Nutzer, die das alte System mit aufgebaut haben. Diese Nutzer sollten dringend im Projekt als Keyuser integriert werden, denn somit können die Ihr Know How über die Prozesse in die neue Software mit einbringen und fühlen sich für ernst genommen und als ein Teil der Lösung.

Noch kleine Anmerkung von mir. Ich würde in NAV nie den RTC in der bisherigen Ausbaustufe einführen. Zu viele Nachteile im Handling. Meine Meinung.

Also viel Erfolg im Projekt.


Sven